Reflexionen zum Thema von Gerhard Charles Rump
Es gibt sehr viele objektive Gründe und subjektive Motivationslagen, warum man Kunst und Antiquitäten sammelt. Natürlich gehört dazu auch, dass ein gut überlegter Kauf auch eine Investition bedeutet, die sich mittel- bis langfristig auszahlen könnte. Wobei noch ein Vorteil ist, dass man in der Zeit zwischen Ankauf und eventueller Weitergabe den ästhetischen und gegebenenfalls, im Fall Angewandter Kunst und Design, den Nutzwert genießen kann. Das ist jedenfalls die Überzeugung des kanadischen Antiquitäten-Fachmanns John Sewell. Von ihm stammt auch eine Art kurz gefasster Katechismus für Antiquitätenfreunde, aus dem gern zitiert wird.
Qualitytime
Wer ein Kunstwerk oder eine Antiquität erwirbt, gleich ob es ein Möbel, ein Gegenstand des Kunsthandwerks oder ein Gemälde oder eine Skulptur etc. ist, erhält mit Sicherheit ein Objekt, das von höherer Qualität und sehr viel besserer Verarbeitung ist, als die meisten der vergleichbaren modernen Massenprodukte. Das allein schon ist ein Wert, den man anerkennen muss. Damit hängt auch zusammen, dass Alte Meister und Antiquitäten nicht veralten. Sie haben schon Jahrhunderte überdauert, und nichts legt nahe, dass das ein Ende fände. Was auch durch die riesigen Besucherzahlen entsprechender Ausstellungen belegt wird.
Oft geschieht es auch, dass man auf ein mittlerweile einzigartiges oder sehr seltenes Zeugnis der Vergangenheit trifft, denn viele Szenen sind heute nicht mehr möglich, da sich die Gesellschaften geändert haben, eine große Zahl von Dingen werden heute nicht mehr hergestellt, weil die Verfahren zu aufwändig und damit zu teuer sind, manche Materialien stehen nicht mehr zur Verfügung, manche Fertigkeiten, die weiland selbstverständlich waren, sind verloren gegangen. Da hat man dann etwas, das durch seine Einzigartigkeit geradezu einen emotionalen, romantischen Aspekt hat, mit dem man gern eine Verbindung eingeht.
Heute kennt man von allem den Preis, von nichts den Wert. (Oscar Wilde)
Für viele Sammler, und das fängt schon bei kleinen Dingen an, ist das Ausleben des „Jagdtriebes“, einer ganz natürlichen Veranlagung, der wir alle teilhaftig sind, ein wichtiger Aspekt. Der gelinde bis möglicherweise starke Nervenkitzel, wenn man ein Objekt der Begierde zu erlangen versucht, trägt zum seelischen Gleichgewicht bei und stellt etwas dar, das heute, in Zeiten zunehmender Verflachung auf vielen Gebieten, vielleicht wichtiger ist denn je. Zumal das Sammeln von Kunst und Antiquitäten zu den Leidenschaften gehört, die einen durch das ganze Leben begleiten können, da sie ein nicht versiegender Quell von Lebensfreude und geistiger Kraft sind. Das ist eine direkte Folge der Wissenswelten, die hinter jedem Kunstwerk, hinter jeder Antiquität stecken, und die mit Geduld erschlossen werden wollen. Dazu gehören Fragen nach der Verwendung des Werks, was historische, soziologische, möglicherweise mythologische und wissenschaftsgeschichtliche Weiterungen hat, und die Bandbreite hier ist enorm, denn die Sammelgebiete gehen von Musikinstrumenten über Gemälde und Skulpturen, Möbel, wissenschaftliche Geräte, Uhren Spielautomaten und dergleichen bis zu Gold- und Silberschmuck und -Geräten, Porzellan, Majolika und Steingut, Textilien und Spielzeugen und Alltagsgegenständen wie Teppiche und Krawattennadeln, sogar um historische Dokumente und Memorabilien. Es geht also um die ganze Vielfalt und Reichhaltigkeit des Lebens.
Was sehr wichtig ist: Es gibt keine „falsche“ Weise, Kunst und Antiquitäten zu sammeln: Jedes aus Freude und mit Ernsthaftigkeit gepflegte Sammelgebiet ist gut, und der Sammler, der auf ein Stück stößt, das seine Aufmerksamkeit erregt, kann so inspirierenden Fragen nachgehen wie: Warum hat dieses Objekt die Zeitläufe überstanden? Warum ist es in der Vergangenheit gepflegt worden? Was ist das Besondere daran? Ist es der elegante Schwung des verarbeiteten Holzes, die Aufwändigkeit des gewebten Stoffes? Hängen Erinnerungen daran? Das ist die verführerische Wirkung der Antiquitäten, die zu uns heute ebenso spricht wie zu früheren Generationen, denn der Mensch ist ein historisches Wesen und die Erhaltung der Zeugnisse der Vergangenheit, und damit die Erhaltung seiner eigenen Geschichte hat selbst schon eine lange Historie. Antiquitäten zu sammeln war immer schon aktuell und ist es auch heute.
Il faut d´etre de son temps (Baudelaire)
Beim Sammeln zeitgenössischer Kunst kommt noch hinzu, dass man die Forderung Baudelaire's (und Daumiers und Manets) erfüllt "il faut être de son temps" (man muss von seiner Zeit sein) und am aktuellen ästhetischen Diskurs teilnimmt, Zeuge – und Akteur in – der kulturellen Weiterentwicklung wird und so auch Einfluss auf diese nehmen kann. Das Sammeln von Antiken dagegen ermöglicht eine Interaktion mit der Geschichte, deren Teil man wird, eine geschichtliche Verbindung zu den Menschen, die vor uns waren, baut sich auf. Und das auf eine emotional packende, seelisch erfüllte Weise, wie es wohl kein anderes Tätigkeitsfeld oder Interessensgebiet zu leisten im Stande ist. Wer sich mit Kunst und Antiquitäten umgibt, ist spirituell mit den Menschen der Vergangenheit verbunden, die für diese Person dann auch auf eine solche Art lebendig sind. Nicht zu vergessen ist die Schönheit, die ästhetische Sättigung. Wir sammeln gern schöne Dinge, Werke, die uns eine bemerkenswerte ästhetische Erfahrung in Richtung Schönheit (Natur-Schönheit und Kunst-Schönheit) verschaffen. Ästhetik ist ein Wert an sich, denn Schönheit ist: Wir finden hochkomplexe ästhetische Strukturen ja auch da, wo man sie zunächst gar nicht sehen kann, im Inneren von Steinen etwa. Und das zeigt uns unmissverständlich, dass wir es sind, die Schönheit erschaffen und diese nachvollziehen. Schönheit zu schätzen ist also etwas sehr Menschliches, und das Sammeln von Kunst und Antiquitäten spricht für alle Beteiligten von den Bedingungen der menschlichen Existenz.