Galeriebesuche von Gerhard Charles Rump in der Hauptstadt
Die angeschlagene Kulturwirtschaft versucht, taumelnd, wieder auf die Füsse zu kommen. Die Stimmungslage ist schon spürbar besser, wenn auch weit entfernt noch selbst von einer neuen Normalität. Standhaft und zinnsoldatengleich schippern die Berliner Galerien ‚Hotel Mond‘ und ‚Semjon Contemporary‘ im Papierschiffchen der Hoffnung neuen Horizonten entgegen. Gut gerüstet dazu sind sie allemal: Noch bis zum 1. August zeigt Semjon Contemporary zwei parallel laufende Aufmerksamkeitsheischer: Ute Essig mit ‚heiter bis wolkig‘ und experimentelle Fotografie ‚von gegenüber‘ von Henrik U. Müller.
Ute Essig fertigt genähte Bilder und zeitgenössisch designte, charaktervolle Keramikobjekte sowie schwebende, auch farbige, wolkenartige Objekte aus hauchfeinen Fäden. Das ergibt in der Zusammenschau eine singuläre, sehr eigenständige, dezidierte Position, zumal die Künstlerin in der venerablen Tradition der Bild/Text-Kombination steht. Die Texte stellen eine (Manifestations-)Form der Werke dar, ihre konkrete 2D bis 3D Leiblichkeit eine andere, und beide ergänzen sich ästhetisch. Sie spalten einen virtuellen Raum auf, in den der Betrachter hineingezogen wird und nach Orientierung sucht. Ein spannendes Spiel visueller und cerebraler Anstösse, Weitergaben und Verkettungen entfaltet sich und hallt lange, lange nach.
Gleichzeitig hat es dort die experimentellen Fotoarbeiten von Henrik U. Müller, die in recht grossen Tableaus kleinere Elemente rasterförmig kombinieren (Kompositbilder), die mit und durch fotografische Prozesse ihre ungewohnte Optik erhalten. Man steht urbanen Situationen mit rätselvollen Elementen gegenüber. Der Betrachter taucht ein in eine Parallelwelt, die primär nicht den Regeln der Realität Recht gibt, sondern dem Regelwerk der Kunst. Und visuell ergeben sich dabei durch Spiegelungen, Reflexionen, innerbildlich wie ausserbildlich verschiedene Ebenen und neue Erfahrungsräume.
In Charlottenburg ....
Im Hotel Mond – das wohl beste Berliner Hotel, in dem man nicht nächtigen kann – hängen noch bis zum 25. Juli Werke des Deutsch-Amerikaners Ali Eckert. Er fotografiert symbolisch aufgeladene, inszenierte Bilder und produziert auch entsprechende Dioramen. Die Bilder und Installationen nehmen den Betrachter mit auf eine Gratwanderung zwischen Bekanntem und Gewusstem, Unbekanntem und Rätselhaftem, Wirklichkeit und Fiktion. Der dithyrambische, aber gleichzeitig melancholische Tanz, den erotische, emotionale, erhabene und eklektische Bild-Elemente aufführen, ermöglichen es dem Betrachter, sich eine reichhaltige ästhetische Veränderung zu verschaffen, wühlen Erinnerungen auf, erzählen seltsame und eigenartige Geschichten mit Bezug zur Transzendenz.
Sie verweigern allzu einfache Festlegungen, kokettieren mit hermetischen Denkweisen während sie ihre Dienste als Hermeneuten von Vorstellungswelten anbieten. Die Szenerien sind multidimensionale Projektionen von Bildern aus dem imaginären Museum, etwa von Edward Hopper, der Tankstelle an der Ecke und der reinen Idee der urbanen Situation, aus der sich partout keine Idylle formen lassen will. Im Kabinett gibt es ein hochqualitatives Klassiker-Panoptikum mit vorwiegend kleinformatigen Werken ganz grosser Meister – von Andy Warhol, über A. R. Penck zu Jonathan Meese und Gerhard Richter. Wie immer natürlich auch die Frau Frieda Design Bags.
Find out more/locations:
Semjon Contemporary, Schröderstr. 1, 10115 Berlin-Mitte, www.semjoncontemporary.com,
Di–Sa 13–19 Uhr, noch bis 1. August 2020
Hotel Mond Fine Arts, Bleibtreustrasse 17, 10623 Berlin-Charlottenburg, www.hotel-mond.de, Di–Fr 11–18 Uhr, noch bis 25. Juli 2020